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Raus aus dem Schulbuch und rein in die Handlung!

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© ©Stiftung Lernen durch Engagement, Fotograf Yüksel Patir
10.11.2023

Über die zweite landesweite Tagung Lernen durch Engagement (LdE) in Stuttgart.

Ein voller Saal mit Lehrkräften, Schulleitungen und Mitarbeitenden der Schulverwaltung im Haus der Katholischen Kirche in Stuttgarts Innenstadt, an einem Wochentag in Zeiten von Lehrkräftemangel hat eine Bedeutung: Sie alle folgten am 26. Oktober dem Ruf der Stiftung „Lernen durch Engagement (LdE)“ und mehrwert, dem landesweiten Schlüsselkompetenzzentrum für LdE.  Der Titel der Tagung lautete "Zukunft.Gestalten.Lernen", Schwerpunktthema war LdE und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Es war die zweite landesweite Tagung dieser Art.

Mit einem Wurfmikrofon, ein Plüschwürfel zum Reinsprechen, wurde die Motivation der Teilnehmer spontan abgefragt. Einige hofften auf Vernetzung, andere wollten den Gemeinsinn an der Schule stärken. Ein Teilnehmer suchte neue Impulse und Anregungen für den Unterricht, nach der langen Pandemiezeit. Inspirationen finden, ins Gespräch oder in den Austausch kommen, so die Wünsche der Befragten. Immer wieder fiel auch der Begriff “Demokratiebildung” im Zusammenhang mit dem Thema auf.

Schule muss neu gedacht werden, darüber waren sich die meisten Anwesenden einig. Einige möchten dafür neue Ufer betreten, denn nicht allen Teilnehmern ist LdE ein Begriff, obwohl es bereits seit 20 Jahren in Baden-Württembergs Schulen praktiziert wird. Dennoch befindet sich das Thema weiterhin in einer Nische. Darum wird LdE von der Karl Schlecht Stiftung gefördert und in Kooperation mit dem Kultusministerium und dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) vorangebracht.

© Bild: ©Stiftung Lernen durch Engagement, Fotograf Yüksel Patir
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In Verbindung gehen und sozial aktiv sein

„Lernen durch Engagement“ möchte die Schüler aus den Klassenzimmern holen und rein in die Handlung bringen. Es ist eine Lehr- und Lernform, die fachliches Lernen mit gesellschaftlichem Engagement von Schülern und Schülerinnen verbindet. Wie das gut gelingen kann, davon konnten sich die Teilnehmer am Beispiel der Don-Bosco-Schule aus Leutkirch selbst überzeugen.

„Die Schüler sind geprägt von einer ‚das kann ich nicht-Mentalität‘“, sagt der Schulleiter Christoph Groß, bei seiner Präsentation. Es gilt, Lernen in authentischen Kontexten zu fördern und an der Selbstwirksamkeit der Schüler zu arbeiten. Dafür müssen die Schüler die Komfortzone verlassen und in die Eigenverantwortung gehen.

An der Beispielsschule retten die Schüler regelmäßig Lebensmittel vor der Tonne. Sie holen die Sachen bei den Supermärkten und Läden selbstständig ab. Was so einfach klingt, birgt bereits für manch jungen Menschen die erste Hürde. Denn Kommunikation mit Fremden ist gefragt. Weiter geht es mit der Ausgabe der Lebensmittel, der Verarbeitung und dem Verkauf der Produkte in der sozialen Einrichtung ‚Sonnentreff‘, der Abrechnung und am Ende des Tages mit dem “In Ordnung bringen” der Räumlichkeiten.

„Viele unterschiedliche Aufgaben, die sich in den klassischen Schulfächern wie Deutsch, Mathematik oder Alltagskultur, Ernährung und Soziales (AES) gut widerspiegeln“, sagt Katharina Tutschner, Lehrerin und Umsetzerin von LdE an der Schule. Herausfordernde Situationen werden gemeistert, das Selbstvertrauen dabei gestärkt. Das Schulbeispiel kam bei den Anwesenden im Saal sehr gut an und wurde mit Applaus honoriert.  

Es braucht einen „Mutbrief“ von oben

“Lernen durch Engagement" steht aber auch in einem größeren Zusammenhang. Denn es kann eine Entwicklung für nachhaltige Bildung anstoßen,  der Themenschwerpunkt der Tagung. Auf dem Podium im Anschluss kamen Sandra Boser, Staatssekretärin im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Dr. Philipp Bocks, Vorstand der Karl Schlecht Stiftung, Lehrerin Kirsten Gockel, Schulrätin Janine Regel-Zachmann, Christoph Groß und weitere Teilnehmer zu Wort. Es ging darum, wie die Verankerung von Lernen durch Engagement an Schulen in Baden-Württemberg besser gelingen kann. Die bestehenden Widersprüche wurden deutlich thematisiert:

© Bild: ©Stiftung Lernen durch Engagement, Fotograf Yüksel Patir

Die Schüler von heute sollen mit Softskills wie Kommunikations- und Kollaborationsfähigkeit für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgestattet werden. Doch der Bildungsplan, so der Einwurf einer Teilnehmerin, sei weiterhin voll mit Detailwissen.

Staatssekretärin Boser kennt die Problematik und erläuterte, dass gerade an vielen Stellen überlegt werde, wie Schule geöffnet und Freiräume geschaffen werden können, um pädagogische Angebote wie LdE leichter in den Schulalltag einfließen zu lassen.

Auch die Karl Schlecht Stiftung hat eine klare Vorstellung, die Philipp Bocks wie folgt formuliert:

 

„In Baden-Württemberg wünschen wir uns als Stiftung, dass es gelingt die Verantwortungsträger zu überzeugen, wie wichtig es ist, dieses Programm nachhaltig zu integrieren.“

Dr. Philipp Bocks, Vorstand KSG

 

Von einem Vertreter von „Teachers for Future“ nahm Frau Boser die Bitte nach einem „Mutbrief“ an die Schulverantwortlichen mit, um leichter in die Umsetzung zu kommen. Moderatorin Kati Ahl pointierte das aktuelle Problem vieler Lehrer: „Wer im Hamsterrad ist, für den ist es schwer innovativ zu sein“ und deutet auf das chronische Zeitproblem hin.

Es dürfen keine Angebote von einzelnen engagierten Lehrern bleiben. Das Mindset im Kollegium gilt es dahingehend zu verändern, LdE nicht als zeitliche Zusatzbelastung zu sehen.  Es bedarf einer systemischen Veränderung, so dass das Thema in der Schulentwicklung verankert und das Bildungsverständnis neu interpretiert werden kann. Viele Aufgaben, die es noch zu bewältigen gilt.

Wie bekommen wir gesellschaftlich die Kurve?

In ihrem Vortrag überzeugte Dr. Mandy Singer-Brodowski vom Institut Futur von der Freien Universität Berlin. Sie gab einen ernüchternden Einblick über die globalen Belastungsgrenzen und deren Auswirkungen auf die Psyche der jungen Menschen. Die überraschenden Ergebnisse beziehen sich salopp gesagt auf zu viel „Moralpredigten“ über nachhaltiges Leben von Lehrern gerichtet an die Schüler. Dies führe zu einer Abwehrhaltung bei den Schülern.

Bildung für nachhaltige Entwicklung (kurz: BNE) muss lebensecht sein, darf aber nicht bevormunden. Es gilt innerhalb der nachhaltigen Erziehung BNE andere Denkansätze und Verhaltensweisen zuzulassen. Sozialer Kompass ja, politische Engstirnigkeit und Verordnung nein! Eine einseitige Fokussierung auf bestimmte Themen wie Energie sparen, Mülltrennung oder nachhaltiger Konsum kann Nachhaltigkeitsfragen entpolitisieren. Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe diese Probleme anzugehen. Ihr Vortrag stimmte nachdenklich und fand ein Ende mit der berechtigen Frage: Wie wollen wir in Zukunft gerecht leben?

Nach dem Mittagessen hatten die Teilnehmer Gelegenheit sich in unterschiedliche Gruppen einzufinden. Die Workshops richteten sich speziell an Schulleitungen oder Lehrkräfte und hatten verschiedene Schwerpunkte.

 

“Wir als Stiftung sind überzeugt, dass Lernen durch Engagement auf ganz viele aktuelle Entwicklungen und Phänomene unserer Zukunft reagieren kann."

Carla Gellert, Stiftung Lernen durch Engagement

 

Carla Gellert, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Stiftung „Lernen durch Engagement“ und Programmleiterin für LdE in Baden-Württemberg, wies eingangs auf das baden-württembergische LdE-Netzwerk für Schulen hin. Ein Netzwerk in dem Schulen, die an LdE interessiert sind oder es bereits umsetzen, leichter in Verbindungen bleiben können. “Wir als Stiftung sind überzeugt, dass Lernen durch Engagement auf ganz viele aktuelle Entwicklungen und Phänomene unserer Zukunft reagieren kann”, sagte sie und betont gleichzeitig die Wichtigkeit der Vernetzung.

Die Teilnehmer nahmen alle eine große, übergeordnete Frage mit, die es nicht nur zu beantworten, sondern vielmehr umzusetzen gilt: Welche Bildungsinhalte sollen Schulen einer demokratischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ausmachen?

Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Lehr-Lernform LdE einen wirkungsvollen Beitrag zur Förderung von Zukunftskompetenzen leistet, die in unserer sich dynamisch verändernden Welt immer wichtiger werden: Verantwortungsbewusststein, Selbstwirksamkeit, kritisches Denken, Team- und Kommunikationsfähigkeit, um nur einige zu nennen.

Dr. Katrin Schlecht, Vorstandsvorsitzende der KSG, die sich zwei Tage zuvor mit Kultusministerin Theresa Schopper und den weiteren Partnern wie Stiftung LdE, ZSL zu LdE getroffen hatte, formuliert: „Wir teilen mit dem Kultusministerium die Vision, LdE noch stärker in den schulischen Curriculae und in der Lehrerausbildung in Baden-Württemberg zu verankern. Das klappt auf operativer Ebene schon sehr gut in der Zusammenarbeit mit KM und ZSL.  Und es ist und bleibt eine wichtige Aufgabe, bei der wir auch künftig nicht locker lassen werden!“

Ziel mit KM und ZSL ist, neben einem steten Angebot von Fortbildungen für Lehrkräfte und einem weiteren Schwerpunkt in der zweiten Phase der Lehrerausbildung (Referendariat), auch für Schulleitungen Angebote zu entwickeln, wie bspw. eine Handreichung zur Verankerung von LdE an Schule.