Interview über die wissenschaftliche Begleitung des Programms Wirtschafts.Forscher! im Regierungsbezirk Tübingen mit Prof. Dr. Taiga Brahm, Lehrstuhl für Lehrstuhl für Ökonomische Bildung und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Tübingen.
Ein Leben ohne Wirtschaft gibt es nicht. Das Wissen über Wirtschaftszusammenhänge sollte bereits früh in der Schule vermittelt werden, weshalb das Programm Wirtschafts.Forscher! für Schüler und Schülerinnen in der Sekundarstufe 1 entwickelt wurde. Es hat die Wirtschaftsbildung von Lernenden mit Fokus auf ethische Fragestellungen im Blick. Ab der achten Klasse sollen die Jugendlichen lernen, sich mit ethischen Fragestellungen in der Wirtschaft auseinanderzusetzen.
Dazu arbeiten die Schülerinnen und Schüler unter anderem mit einer digitalen Lernplattform, dem eigens entwickelten „Wi.Fo!-Lab“. Die erfolgreiche Umsetzung des Programms wird seit Januar 2023 mit dem Pilotprojekt „Wi.Fo!-Regio Südwest” in der Modellregion Regierungsbezirk Tübingen fortgesetzt. Eine wissenschaftliche Begleitung findet unter der Leitung von Prof. Taiga Brahm vom Lehrstuhl für Ökonomische Bildung und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Tübingen statt. Mit ihr sprach Dr. Sofia Delgado für die Karl Schlecht Stiftung.
Dr. Sofia Delgado: Was ist Ziel dieser Evaluation? Welche Erkenntnisse sollen durch die Evaluierung gewonnen werden?
Prof. Taiga Brahm: Das Programm „Wirtschafts.Forscher!“ schafft auf Basis der Methode des forschenden Lernens die Möglichkeit für Schüler:innen, wissenschaftspropädeutische Kompetenzen zu entwickeln. Wissenschaftspropädeutische Kompetenzen werden im Programm „Wirtschafts.Forscher!“ in Anlehnung an die Kollegen Koch und Loerwald, die an der Entwicklung maßgeblich mitgewirkt haben, beschrieben als die Verknüpfung von wirtschaftsethischem Denken mit ökonomischen Kompetenzen. Um herauszufinden, wie das Wirtschafts.Forscher!-Programm zur Entwicklung der wirtschaftsethischen Kompetenzen der Schüler:innen beiträgt, wird das Pilotprojekt in der Modellregion Regierungsbezirk Tübingen durch unsere Studie begleitet. Wir evaluieren das Programm systematisch mit einem besonderen Fokus auf die Entwicklung fachlicher und wirtschaftsethischer Kompetenzen und Einstellungen der Teilnehmer:innen.
Dr. Sofia Delgado: Welche Methoden kommen bei der Evaluation zur Anwendung?
Prof. Taiga Brahm: Die wissenschaftliche Evaluation erfolgt durch eine schriftliche Befragung der am Projekt teilnehmenden Schüler:innen. Dabei vergleichen wir diese Teilnehmer:innen mit einer so genannten Wartekontrollgruppe, die erst im folgenden Schuljahr am Projekt selbst teilnimmt und in diesem Jahr ausschließlich an der Studie teilnimmt. Wir erheben zu Beginn und am Ende des Projektes mit Hilfe eines standardisierten Online-Fragebogens. Es werden auch Interviews mit den beteiligten Lehrpersonen durchgeführt.[ta1]
Dr. Sofia Delgado: Welche Erkenntnisse gibt es bereits aus den vergangenen sechs Jahren Wirtschafts.Forscher! Programm?
Prof. Taiga Brahm: In den bisherigen Durchläufen des Programms Wirtschafts.Forscher! wurde unter anderem die Zufriedenheit der teilnehmenden Lernenden und der Lehrpersonen mit dem Programm und der Durchführung erhoben. Dabei wurden sehr positive Rückmeldungen erzielt. In den Erhebungen des Instituts für Ökomische Bildung (IÖB) wird zudem deutlich, dass eine Diskrepanz, zwischen der in der Befragung erhobenen grundlegend positiven Haltung gegenüber Bio-Lebensmitteln und einem geringen Konsum von Bio-Lebensmittel besteht. Ähnlich findet sich diese Differenz auch in der befürwortenden Haltung für Nachhaltigkeit und gleichzeitig dem Wunsch, Kleidung oder ein Smartphone zu kaufen sowie zu reisen.
Dr. Sofia Delgado: Was genau wird unter „forschendem Lernen“ verstanden? Welche Erkenntnisse gibt es bereits aus anderen Fächern zum forschenden Lernen?
Prof. Taiga Brahm: Forschendes Lernen ermöglicht das Arbeiten und Lernen ausgehend von einer Problemstellung, die durch die Lernenden in Anlehnung an einen wissenschaftlichen Forschungsprozess gelöst wird. Ergänzt werden kann das forschende Lernen insbesondere auch durch virtuelle Lernumgebungen, wie es im Wirtschafts.Forscher!-Programm umgesetzt wird. Diese Lernumgebung unterstützt kollaboratives Arbeiten, die eigenständige Recherche der Lernenden und die Entwicklung von Ideen. Auch ist es möglich, die Vorkenntnisse und Vorstellungen der Teilnehmenden abzufragen. Die Anlehnung an die Struktur eines Forschungsprozesses bietet also einen Rahmen für den Lernprozess im Klassenzimmer, muss aber in der Regel durch die Lehrpersonen didaktisch unterstützt werden.[ta2]
Dr. Sofia Delgado: Kann der Lernansatz "forschendes Lernen" auf andere Schulfächer übertragen werden?
Prof. Taiga Brahm: Die Methode des forschenden Lernens kann in sämtlichen Fächern und mit vielfältigen Inhalten eingesetzt werden, da der Ansatz gut an die Anforderungen der zu vermittelnden Inhalte und die Bedürfnisse der Schüler:innen angepasst werden kann. Je nachdem, wie hoch der Grad der Forschungsfreiheit sein soll, können die Forschungsfrage sowie die zu verwendende Methode stärker bzw. weniger gelenkt werden.
Das Pilotprojekt „Wi.Fo!-Regio Südwest“ startete im Januar 2023 in der Modellregion Regierungsbezirk Tübingen gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Tübingen, der PwC-Stiftung, der Karl Schlecht Stiftung sowie der Universität Tübingen, dem Institut für Ökonomische Bildung und des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL). Es richtet sich an Lernende der Sekundarstufe 1 sowie deren WBS-Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen im Regierungsbezirk Tübingen. Die wissenschaftliche Begleitung findet aktuell nur in der 8. Klassenstufe statt. Ziel der Modellregion ist es, die Wirtschaftsbildung mit Fokus auf ethische Fragestellungen an allgemeinbildenden Schulen im Regierungsbezirk Tübingen zu fördern.