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Bronnbacher Stipendium – wie Kultur- und Kunsterfahrung Führungsverantwortung verändert

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© Bronnbacher Stipendium / Kulturkreis Archiv
12.10.2023

Ein Interview mit Konstantin Adamopoulos, freier Kurator des Bronnbacher Stipendiums. Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI betreibt mit seinem Arbeitskreis Kulturelle Bildung (AKB) ein ambitioniertes Stipendienprogramm, das weit in die gesellschaftliche Zukunft hineinstrahlt.

So entstand unter dem Leitgedanken „Kulturelle Kompetenz für künftige Führungskräfte“ durch visionäre Mitglieder des Kulturkreises im Jahr 2004 das Bronnbacher Stipendium. Studierende und Promovierende, die das Auswahlverfahren erfolgreich bestehen und ausgewählt werden, erhalten die Chance, unter professioneller Begleitung ein Jahr lang mit renommierten Persönlichkeiten aus der Kunst- und Kulturszene in den Dialog zu treten und deren Arbeitsweisen am eigenen Leib, ganzheitlich kennenzulernen. Die Karl Schlecht Stiftung KSG fördert das "Bronnbacher" bereits seit 2017.

Konstantin Adamopoulos ist seit 18 Jahren freiberuflicher Kurator des Bronnbacher Stipendiums im Auftrag des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. Mehr als 300 Alumni der Universitäten Mannheim und des KIT Karlsruhe hat er bislang durch das Workshop-Programm begleitet.  Der aktuelle Workshop trägt den Titel “Kunst und soziale Intervention“. Wir sind neugierig auf die Inhalte der Workshopreihe. Dr. Sofia Delgado sprach mit Konstantin Adamopoulos über Kunst und Führungsverständnis. 

„Ventilatoren sind Hubschrauber, die ihren Traum aufgegeben haben und jetzt im Büro sitzen.“

Konstantin Adamopoulos, Kurator Bronnbacher Stipendium

20. Jahrgang des Bronnbacher Stipendium, März 2023 © Bild: (c) 20. Jahrgang, Leon Wingenfeld

Sofia Delgado (S.D.): „Das Bronnbacher Stipendium steht für „Kulturelle Kompetenz für Führungskräfte“ durch Kunst- und Kulturerfahrung. Was genau macht Kunst und Kulturerfahrung mit uns? Hilft es den „Ventilatoren“ beim Fliegen?“

Konstantin Adamopoulos: „Beim Ventilator geht es weniger darum, abzuheben. Wenn wir das Bild des Ventilators dynamisch verstehen wollen, dann wird damit die Luft zum Atmen umgewälzt. Es geht um Erfrischung, darum den Raum positiv zu verändern bevor ggf. doch die Entscheidung zum Verlassen getroffen werden muss. Die 16 Stipendiat:innen pro Jahrgang erleben und prüfen ihre oft genug unausgesprochenen Grundannahmen für ihre Bewertungen und Entscheidungen. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Künstler:innen fordert sie darin heraus. Meine Erfahrung als Kurator bahnt die Begegnungen so an, dass sie produktiv und nachhaltig ein waches, flexibles und dabei wertebewusstes Wahrnehmen und Handeln unterstützt. Künstler:innen sind hierfür unerlässliche Partner:innen auf dem Weg zu einer eigenen “Haltung” und zur Kraft für notwendige Handlungen.“

S.D.: Wie hat man sich das vorzustellen, Leadership künstlerisch gedacht? Warum ist Kunst- und Kulturerleben so hilfreich? Was hat es mit Ethik zu tun?“  

Adamopoulos: „Leadership hat etwas mit gestalterischem Handeln zu tun, das in Interaktion stattfindet. Eine Führungspersönlichkeit trifft ständig auf neue Akteur:innen und deren sich wandelnde Intentionen und Notwendigkeiten. – In unseren kuratorisch begleiteten Workshops öffnen sich die Teilnehmer:innen durch die künstlerischen Erfahrungen, im Malen, in der Körperarbeit, in medialen und gemeinschaftlichen Aktionserlebnissen. Wer sich selbst immer wieder kennenlernt, sich hinterfragt und bewegt, kann anderen aktuell und weitestgehend adäquat begegnen. Das ist der Link zum Leadership und zur Ethik. – Wie sonst kommen denn ethische Werte in die persönliche und gemeinschaftliche Handlung, in eine umgesetzte Verantwortung? – In der Ausnahmesituation „Kunst“ prüfen wir uns, unsere Erfahrungen und Bewertungen, aneinander. Hier lernen wir Toleranz und „Haltung“ herzlich wahrzunehmen und Wahrnehmung zu entfalten – Umkehr, Korrektur, Mitgefühl inklusive.“

S.D.: „Das erste Programm des Bronnbacher Stipendiums fand 2004/2005 statt. Welche Rückmeldungen haben Sie heute von den Teilnehmern der ersten Jahrgänge? Was hat sich persönlich für die Alumni durch die Teilnahme am Programm verändert? Welche Effekte hat das auf lange Sicht?“    

Adamopoulos: „Von älteren Alumni erhalte ich zunächst die Rückmeldung, dass sie die zugeneigte und offene Arbeitssituation nur schwer im beruflichen Alltag integrieren oder wiederfinden können.– Ein Alumnus nannte es die „Würde des Konsums“ und die „Würde der Produktion“, um die er ränge. Für die Menschheit und unsere Erde, Tiere, samt Weltraum ist ein voneinander abhängiges Miteinander kaum noch zu leugnen. Sich hierfür einzusetzen, verbindet die Würde des Konsums (Wie verbrauche ich Mitwelt?) mit der Würde der Produktion (Wie agiere ich aus den Ressourcen der Welt?). – Hierfür seine Kraft und Flamme zu geben, ggf. auch als Einzelne/r gegen den global relativierenden Mainstream, das bleibt der Bronnbacher proof of the pudding.“

S.D.: „Kunst und Kultur unterliegen einem Wandel mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Wie hat sich das Bronnbacher Stipendium weiterentwickelt? Gibt es bestimmte Veränderungen oder Neuerungen, die im Laufe der Jahre erfolgt sind oder sind knapp 20 Jahre zu kurz für Veränderungen auf diesen Gebieten?“  

Adamopoulos: „Anfänglich richtete sich das Stipendienprogramm an “Macher” und “Könner”. Ich nutze für diese Behauptung die männliche Form. Heute erleben wir die Welt verbundener und verwundbarer. Heute erscheint mir das Unbekannte und das Verbindende wichtig. Das “Nicht-Wissen” und das “Nicht-Können” wird gegenwärtiger als künstlerische Ressource, die wir alle in uns tragen. Wir beginnen zu unterscheiden, ob und wie wir etwas beeinflussen, was ab da für Generationen in der Welt bleibt oder ob wir handeln, so dass Sachverhalte ökologisch weiterentwickelbar bleiben.

Für das Programm ist mir immer ein gewisser Parkour von tiefgreifenden Erlebnissen wichtig, der der Unterschiedlichkeit all der Teilnehmer:innen Rechnung trägt: Biografische Momente, die für Motivation stehen, können in der Malerei aufgespürt und neu in Bewegung gebracht werden. Gemeinschaft und Formfindung sind zentral bei Musik, Tanz, Schauspiel. Vertiefende Wahrnehmungen und Neubewertung finden in Literatur und Film ihren Ausdruck. Künste überlappen sich, konterkarieren Erwartungen, leuchten in unsere eigenen Schatten, die wir zu verdecken glauben. Das sind überzeitliche Themen. Neu erscheint mir Erfahrungen und Beurteilungskräfte zu mobilisieren, die mehr Lebendigkeit und Anbindungen einladen.“   

S.D.: „Ihre Workshopreihe kann auf zahlreiche durchgeführte Veranstaltungen und Seminare zurückblicken. Im kommenden Jahr findet der zwanzigste Durchlauf statt. Welches waren Ihrer Meinung nach die bemerkenswertesten oder einprägsamsten Veranstaltungen in diesem Zeitraum? Haben Sie eine Anekdote für uns?“   

Adamopoulos: „Tatsächlich sind die Teilnehmenden unterschiedlich. In der Auseinandersetzung mit Kunst und Künstler:innen entdecken sie ihre herzliche Freude und biografische Tragik mit dieser Einmaligkeit, die die Welt bedeuten kann. Wie bringe ich meine unmittelbare Kraft und Erkenntnis in die Welt? – “Warum schreiben Sie so langweilig?” Damit konfrontierte ein Bronnbacher die Referentin, die immerhin Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin ist. Nun, die Stipendiat:innen hatten alle Bücher der Autorin gelesen. In einem davon gelang ihr ein ätzendes Porträt eines Kriegsheimkehrers, wofür sie Sprache gewann, die dem Bronnbacher im Moment noch kaum angemessen beschreibbar war. Dieser “Culture Clash” samt folgender Auseinandersetzung bebildert mir bis heute den Unterschied zwischen Phänomen und Beschreibung, Tat und Wirkung, Führung und Gegenbewegung.“

Bronnbacher Stipendiaten im Tanzworkshop bei Sasha Waltz, 2009 © Bild: © Kulturkreis

„Dieser “Culture Clash” samt folgender Auseinandersetzung bebildert mir bis heute den Unterschied zwischen Phänomen und Beschreibung, Tat und Wirkung, Führung und Gegenbewegung.“

S:D.: „Welche Themen und Trends prägen den aktuellen Jahrgang? Gibt es bestimmte Schwerpunkte oder neue Ansätze, die in diesem Jahr besonders relevant sind?“  

Adamopoulos: „Wir sehen vieles noch nicht oder erkennen zunächst was wir schon zu kennen glauben. Ähnlich ist es mit dem Verstehen. Wir vertrauen darauf, dass unser bisheriger Gebrauch den Kern der Dinge ausmacht. – Aktuell treibt mich besonders das Thema Mitmenschlichkeit in den Unterschieden um. Was verändert sich in der Zuwendung zum Besonderen? Wie schützen wir das, was sich noch gar nicht entwickelt hat? Wie findet das Kleine Platz und Kraft, um Eigenständigkeit erreichen zu können?“   

S.D.: „Stichwort Kulturelle Kompetenz: Wie wichtig ist Kunst für die Zukunft?“    

Adamopoulos: „Ich erkenne mehr und mehr unsere Mitverantwortung als Gestalter:innen dieser Welt, ökologisch und in jeder einzelnen Organisation. Die Kunst gibt mir sinnlich-leibliche Erfahrungsmöglichkeiten, die meine rationalen Möglichkeiten tiefer befragen und nachhaltig mutiger machen. – In der Auseinandersetzung mit Kunst und Künstler:innen erlebe ich meine Kräfte und Qualitäten immer wieder auf dem Prüfstand, weil es in der Kunst um Freiheit und Formentscheidungen geht. Mehr und mehr ist mir die Vernetzung all dieser wertvollen Erfahrungen und Menschen notwendig.

Mich fasziniert wie der Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft im BDI e.V. ein auf Zukunftsfähigkeit hin wirkungs- und inhaltsgetriebenes Akteursnetzwerk aus Unternehmen und Einzelpersönlichkeiten aufbaut. Dazu setzt der Kulturkreis mit seinen Programmen im Bereich Kulturelle Bildung spürbar auf die Gemeinsamkeiten zwischen Aktiven in Wirtschaft und Kultur, weil es als Idee und Anspruch um den ganzen Menschen unter anderen Menschen geht. Alle Aktionen des Kulturkreises dienen dem Anspruch, Kunst als wertvolle Ressource für unsere Gesellschaft zu verankern. In diesem Sinne fördert der Kulturkreis junge Künstler:innen und aktiviert Unternehmen, sich selbst kunstfördernd zu engagieren. Das alles zielt auf Zukunft und braucht den kreativen Menschen, der die anderen Menschen, die Menschheit, unsere Erde erlebt! – Kunst begleitet uns an die Quelle.“

„Kunst begleitet uns an die Quelle.“   

Ab Oktober 2023 startet die neue Bewerbungsrunde des Programms, der 21. Jahrgang des Bronnbacher Stipendiums, mit Programmstart im März 2024. Der Bewerbungsschluss endet voraussichtlich am 15. Januar 2024. Nach erfolgreicher Vorauswahl werden bis Anfang Februar ausgewählte Bewerber zum Auswahlgespräch eingeladen. Die Auswahlgespräche für den 21. Jahrgang finden voraussichtlich Ende Februar 2024 statt.

Wir sagen herzlich Danke für das Interview.