Aktuelles

Wirtschaftsethik in Schulen verankern – Modellregion der Wirtschafts.Forscher! startet

22.11.2022

„Stell dir vor es gibt Wirtschaft und kaum ein Schüler kennt sich damit aus“. Die Parole beschreibt überspitzt das ökonomische Wissen der Schüler*innen in Baden-Württemberg noch bis vor ein paar Jahren.

Um dem entgegenzuwirken, hat das Fach WBS mittlerweile an allen allgemeinbildenden Schulen Einzug gehalten.

Interview mit Maximilian Porrmann, Regionalkoordinator Wirtschafts.Forscher!-Regio Südwest

In Baden-Württemberg ist WBS als Pflichtfach im Schulplan verankert. Das Projekt Wirtschafts.Forscher! zielt auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Wirtschaft und Ethik innerhalb der ökonomischen Bildung von Schüler*innen ab. Seit dem Start 2015/16 wurde das Programm an Schulen in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg innerhalb des Schulfachs WBS durchgeführt. Nun erfolgt eine Vertiefung des Programms im Südwesten des Landes Baden-Württemberg durch die Schaffung einer Modellregion – gefördert durch die PwC-Stiftung und die Karl Schlecht Stiftung (KSG). Ab Januar 2023 heißt es für die kommenden drei Jahre Wirtschafts.Forscher!-Regio Südwest. Interessierte Schulen können sich noch bis zum 15. Dezember 2022 bewerben (Weitere Infos am Ende des Interviews).

Was es mit dem Programm auf sich hat und welche Ziele die Modellregion verfolgt, darüber sprach Dr. Sofia Delgado, Mediensoziologin und Journalistin, für die Karl Schlecht Stiftung mit dem Regionalkoordinator Maximilian Porrmann

Dr. Sofia Delgado: Bundesweit gibt es das Wirtschafts.Forscher!-Programm bereits seit sieben Jahren an deutschen Schulen. Welche Erkenntnisse und Erfahrungen wurden bisher damit gemacht?

Maximilian Porrmann: Seit dem Start im Schuljahr 2015/16 haben wir viele interessante Erkenntnisse gewonnen und positive Rückmeldungen erhalten. Bisher haben 5.200 Schüler*innen und 230 Lehrkräfte am Wirtschafts.Forscher!-Programm teilgenommen. Im letzten Jahr ergab unsere Evaluation, dass 70% der der teilnehmenden Schüler*innen in der Lage sind, ethische Problemstellungen im Alltag zu erkennen, 80% der Lehrkräfte das Wi.Fo!-Lab als motivierend auf ihre Schüler*innen sowie ihre Unterrichtsplanung wahrnehmen, und 90% der Lehrkräfte die Lernqualität im Wi.Fo!-Lab gegenüber klassischen Lernmethoden als sehr gut bewerten.

  • Bildinfo
    © PwC-Stiftung

    Bisher haben 5.200 Schüler*innen und 230 Lehrkräfte am Wirtschafts.Forscher!-Programm teilgenommen.

Da die ökonomische Bildung an Schulen, gerade in Verbindung mit den Themenfeldern Ethik und Digitalisierung unterrepräsentiert ist, gibt es von Seiten der Lehrkräfte und Schüler*innen ein großes Interesse am Programm. Vor allem die Auseinandersetzung mit aktuellen wirtschaftsethischen Fragestellungen, eingebettet in einer modernen, programmeigenen virtuellen Lernplattform, dem Wi.Fo!-Lab, überzeugt die Teilnehmenden. Das Wi.Fo!-Lab ermöglicht einen hybriden, das heißt digital-analogen Unterricht. Lehrkräfte können das DSGVO-konforme Lab bedarfsgerecht in ihren Unterricht einbeziehen. Ihnen und Ihren Klassen stehen im Lab vielfältige Medien und Online-Anwendungen zur systematischen Auseinandersetzung mit den wirtschaftsethischen Fragestellungen rund um Globalisierung, Automatisierung und Digitalisierung zur Verfügung. Dazu gehören nicht nur Texte, Statistiken sowie Audio- und Videobeiträge, sondern auch Karikaturen und Erklärfilme sowie interaktive webbasierte Trainings.

Die große Stärke unseres Programmes ist es, dass wir ein Bildungsangebot bereitstellen, dass die Rückmeldung von teilnehmenden Lehrkräften sowie Schüler*innen berücksichtigt. So konnten wir beispielsweise mit Hilfe des Feedbacks, das Wi.Fo!-Lab noch intuitiver und bedienungsfreundlicher gestalten.

Die Wirtschafts.Forscher! bedienen sich der Methode des Forschenden Lernens. Was ist damit gemeint, wie profitieren die Schüler davon und wie sind ihre bisherigen Rückmeldungen?  

Maximilian Porrmann:  Das Forschende Lernen verfolgt mit dem Deeper-Learning-Ansatz die Idee, dass die Schüler*innen die Rolle als Expertinnen und Experten annehmen. Dadurch erlangen sie fachliche und methodische Kompetenzen, um selbstständig Lösungen für neue Herausforderungen zu finden. Sie generieren somit selbstständig Wissen und setzen sich unter anderem in Projektarbeiten mit der Ethik im Wirtschaftskontext auseinander. Dieser Ansatz hilft den Jugendlichen, das Thema Wirtschaftsethik zu verstehen und eine konkrete Idee zu einer Forschungsfrage/Projektidee zu entwickeln. Die intrinsische Motivation der Jugendlichen, sich aktiv mit aktuellen Thematiken außerhalb des klassischen Unterrichts auseinanderzusetzen, wird hierbei unterstützt.


Dr. Sofia Delgado: Im Januar 2023 startet das Programm in der Modellregion Südwest des Landes für die kommenden drei Jahre. Wie kam es dazu, eine Teilregion des Landes zum Modell zu erheben?


Maximilian Porrmann: Die Entwicklung einer Modellregion im Wirtschafts.Forscher! Programm stand schon länger auf der Agenda der Karl Schlecht Stiftung und der PwC-Stiftung. Von Anfang an war es uns wichtig, dass die Modellregion in öffentlich-privater Partnerschaft entsteht. Mit dem Regierungspräsidium Tübingen sowie dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerfortbildung (ZSL) haben wir dieses Jahr die beiden perfekten Kooperationspartner gefunden, die bereit waren, im Regierungsbezirk Tübingen eine Modellregion entstehen zu lassen. Auch die weiteren Projektpartner, wie die Universität Tübingen und das Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg (IÖB), trugen zur Realisierung des Pilotprojekts bei. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor für die Entstehung einer Modellregion im Süden Baden-Württembergs war auch der Bildungsplan mit dem neu entstandenen Fach WBS. Hier soll das Programm ansetzen und den Unterricht im Fach WBS nachhaltig beeinflussen.

Dr. Sofia Delgado: Aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklungen und der digitale Strukturwandel erfordern die Themenfelder Wirtschaft und Ethik mehr als bisher, dies für Schüler und Schülerinnen begreifbarer zu machen. Welche Themen stehen beim Wirtschafts.Forscher! Programm auf der Agenda und wie werden diese schülergerecht aufbereitet?

Maximilian Porrmann: Das Wirtschafts.Forscher!-Programm umfasst alle Akteure und Ebenen ökonomischer Entscheidungen und Prozesse und hat einen wirtschaftsethischen Fokus. Das Programm soll Schüler*innen für ethische Fragen der Unternehmensführung, der Produktion, des Designs, des Verbraucherverhaltens und des digitalen Strukturwandels sensibilisieren. Deshalb werden Fragestellungen behandelt, die der Lebensrealität der Jugendlichen entsprechen. So soll das Wirtschafts.Forscher!-Programm Jugendliche zu einer verantwortungsbewussten Lebensführung und damit zugleich zu gesellschaftlicher Teilhabe und politischer Mitwirkung befähigen. Das Programm nimmt immer aktuelle Thematiken, die die Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen, mit auf. So wird zum Beispiel auf das Konsumverhalten der Menschen eingegangen oder digitale Problematiken wie Datenschutz und Social-Media-Verhalten näher betrachtet. Die Themen des Wirtschafts.Forscher!-Programms sind sehr umfangreich und breit gefächert. Die Schüler*innen werden in ihrem Interesse bestärkt und gefördert, eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft im sozialen und ökonomischen Sinne zu gestalten.

Dr. Sofia Delgado: Das Programm Wirtschafts.Forscher! ist für das Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS) konzipiert. Wie sehen die Vorbereitungen der Lehrkräfte dafür aus? Was benötigen diese, um mit diesem Programm arbeiten zu können?

Maximilian Porrmann: Die teilnehmenden Lehrkräfte werden explizit auf das Programm und die Arbeit mit dem Wi.Fo!-Lab vorbereitet. Es wird spezielle Lehrkräftefortbildungen und Netzwerktreffen zum Start des Projekts geben, bei denen didaktische und pädagogische Konzepte und Ideen zum Projekt vorgestellt werden. Die Lehrkräfte und die Schüler*innen erhalten Zugang zum Wi.Fo!-Lab und ausreichende Unterrichtsmaterialen. Unterstützt werden die Lehrkräfte im Projekt von Studierenden der Universität Tübingen, die als Teamer*innen fungieren und bei der Umsetzung im Unterricht helfen. Die Lehrkräfte benötigen also vor allem die Motivation, etwas Neues auszuprobieren und sich im Netzwerk der Modellregion über die Unterrichtsentwicklung im Fach WBS und die Wirtschaftsethik auszutauschen.

Dr. Sofia Delgado: Welche Vorteile, über die Lerninhalte hinaus, hat eine Teilnahme der Schulen an dem Programm?   

Maximilian Porrmann: Durch den Aufbau einer Modellregion entsteht ein Netzwerk aus den teilnehmenden Schulen. Diese können voneinander lernen und gemeinsam neue Handlungsansätze zur Unterrichtsentwicklung erarbeiten und reflektieren. Der Gedanke hierbei ist: „Voneinander und miteinander lernen – gemeinsam Veränderungen bewirken“. Durch das Schulnetzwerk entstehen Schulfamilien, in denen ein gegenseitiger Austausch und Hospitation stattfindet. Außerdem kann so die Wirtschaftsethik an Schulen etabliert und verfestigt werden.

Dr. Sofia Delgado: Aktuell läuft noch die Bewerbungsphase für Schulen? Wie können Schulen daran teilnehmen?

Maximilian Porrmann: Allgemeinbildende Schulen des Regierungsbezirks Tübingen, die das Fach WBS anbieten, können sich direkt bei mir bewerben. Zur Teilnahme benötigen sie optimalerweise zwei Lehrkräfte, die mit ihren Klassen im WBS Unterricht am Programm teilnehmen. Des Weiteren sollte sich auch ein Mitglied aus dem Schulleitungsteam oder der Fachbereichsleitung beteiligen und kontinuierlich an Netzwerktreffen (2x pro Projektjahr) der Modellregion teilnehmen. Die Netzwerkteilnehmenden sollen hierbei Erfahrungen austauschen und sich Feedback einholen. Außerdem sollen sie anderen Schulen und Interessierten einen Einblick in ihre Arbeit mit dem Wi.Fo!-Programm geben.


Factsheet

Beginn: Januar 2023
Dauer: 2023-2025
Umsetzung: Ab Januar 2023 als Projekt im Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS)
Übergeordnetes Ziel: Aufbau und Etablierung eines Wirtschafts.Forscher!-Schulnetzwerks im Regierungsbezirk Tübingen (Neckar-Alb, Donau-Iller, Bodensee-Oberschwaben)
Inhaltliches Ziel: Vermittlung von Zukunftskompetenzen (4K-Modell, Kollaboration, Kommunikation, Kritisches Denken und Kreativität); Schüler*innen sollen die Erarbeitung von Wirtschaftsthemen und Fragestellungen unter einer werteökonomischen Perspektive erlernen  
Zielgruppe: alle Schulformen, Schüler*innen der Klasse 8-10
Akteure: Schüler*innen, Lehrkräfte, Leitungsvertreter*innen, wissenschaftliche Begleitung
Arbeitsmaterial: umfangreiches inhaltlich-didaktisches Material und Module in programmeigener, virtueller Lernplattform Wi.Fo!-Lab
Partner:  Regierungspräsidium Tübingen, Universität Tübingen, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL), Institut für Ökonomische Bildung (IÖB), PwC-Stiftung, Karl Schlecht Stiftung

Teilnahmebedingung: Schulen, die an der Teilnahme interessiert sind, können sich bis zum 02.12.2022 an Maximilian Porrmann, Regionalkoordinator der Wirtschafts.Forscher! Modellregion Südwest (maximilian.porrmann@pwc.com, +4971125034-1509), wenden.  


Mehr unter:
https://www.wirtschafts-forscher.de/