Das „Junge Führungskolleg“ hilft jungen Nachwuchskräften auf dem Weg in eine ethische Unternehmensführung. Interview mit Dr. Philippe Merz, Geschäftsführer und Mitgründer der Thales-Akademie.
Mit dem neuen Format „Junges Führungskolleg“ der Thales-Akademie wird ein Angebot geschaffen, welches insbesondere jüngere Führungskräften oder solche, die auf dem Weg dorthin sind, bei der Vorbereitung auf ihre neue Rolle unterstützen möchte. Die Karl Schlecht Stiftung ist Förderer dieses Programms, denn der Schwerpunkt liegt im Stiftungskonsens der Themen „Good Leadership“ und „Ethik“.
Bisher im Programm der Thales-Akademie gibt es die Weiterbildungsprogramme zur Digitalethik, Medizinethik und Wirtschaftsethik, welche berufsübergreifend mit dem international anerkannten wissenschaftlichen Weiterbildungsabschluss Zertifikat „Certificate of Advanced Studies“ (CAS) beendet werden. Das „Junge Führungskolleg“ ergänzt nun diese Angebote um das Thema verantwortungsvolle Führung und sozialökologische Transformation. Es startet erstmals im April 2024. „Lust statt Frust auf Führung“, könnte die Initialidee für dieses neue Programm plakativ umschrieben werden.
Dr. Sofia Delgado sprach für die Karl Schlecht Stiftung mit Dr. Philippe Merz, Geschäftsführer und Mitgründer der Thales-Akademie.
S.Delgado: „Unternehmen gab es schon immer und auch geführt wurde schon immer. Besteht heutzutage die Notwendigkeit anders zu führen?“
Dr. Philippe Merz: „Führungsstile sind ohnehin einem permanenten historischen Wandel unterworfen und sie unterscheiden sich zudem je nach Kulturkreis, Sektor und sogar Branche. Dennoch stimme ich zu, dass es heute eine besondere Notwendigkeit gibt, tradierte Führungsstile zu überdenken und zu erneuern. Das liegt vor allem an der mehrfachen Veränderungsdynamik, die wir derzeit erleben und die viele Menschen und Organisationen verunsichert und in schwere Fahrwasser führt. Hierzu zählen aktuelle Phänomene wie der Fachkräftemangel und der daraus resultierende Wettbewerb um Beschäftigte, die teils spürbar sinkende Nachfrage und schwierige Auftragslage oder die weiterhin hohe Inflation. Hierzu zählen aber auch strukturelle Veränderungen wie etwa das Hineinwachsen jüngerer Menschen in den Arbeitsmarkt, die sich sowohl einen krisenfesten Arbeitsplatz und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten als auch sinnstiftende Tätigkeitsfelder und Mitbestimmungsmöglichkeiten wünschen. Und schließlich erschüttern die Klimakrise, die Demokratiekrise, die Migrationskrise und die Krise unserer Friedensordnung viele unserer alten Gewissheiten und Überzeugungen.
In dieser anspruchsvollen Gemengelage brauchen gerade junge Führungskräfte neue Entwicklungsmöglichkeiten und Fähigkeiten – insbesondere ein erhöhtes Maß an Selbstreflexion und Selbst-Bewusstsein, aber auch die Fähigkeit, empathisch, kooperativ und partizipativ zu führen. Das gilt sowohl für die persönliche Führungsarbeit in der eigenen Organisation als auch für die Gestaltung der jeweiligen Außenbeziehungen: Hier benötigen junge Führungskräfte die Fähigkeit für sektorübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, aber auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Einrichtungen. Nur dann lassen sich die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Ziele der eigenen Organisation tatsächlich erreichen.“
„In dieser anspruchsvollen Gemengelage brauchen gerade junge Führungskräfte neue Entwicklungsmöglichkeiten und Fähigkeiten ...“
Dr. Philippe Merz, Thales-Akademie
S.Delgado: „Immer weniger, hauptsächlich mittelständische Unternehmen, finden einen Nachfolger. Glauben Sie, dass es unter den Jüngeren aktuell so etwas wie eine Führungsverdrossenheit gibt? Wenn ja, woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?“
Dr. Philippe Merz: „Dazu habe ich nur punktuelle Eindrücke und keinen repräsentativen Überblick, ich kann also nur mit anekdotischer Evidenz antworten. Was ich in meinem beruflichen Radius erlebe, ist, dass es für viele mittelständische Unternehmen schwierig bis unmöglich ist, eine innerfamiliäre Nachfolgelösung zu entwickeln. Die Gründe dafür sind vielfältig und hinreichend bekannt: Altpatriarchen, die nicht loslassen können oder es den eigenen Kindern nicht zutrauen; Kinder, die tatsächlich andere Begabungen und Interessen haben, als sich mit Haut und Haar dem elterlichen Unternehmen hinzugeben; konfliktbeladene Eltern- und Geschwisterbeziehungen. Solche Dinge.
Interessanter scheint mir die Frage, ob es unter jüngeren Menschen insgesamt so etwas wie eine „Führungsverdrossenheit“ gibt. Als generelle Einschätzung teile ich das nicht, da es in vielen Regionen auch eine lebendige Startup-Szene sowie beeindruckend engagierte junge Führungskräfte gibt. Teilweise erlebe ich aber tatsächlich eine gewisse Zurückhaltung, wenn es darum geht, Führungsverantwortung zu übernehmen. Das hat manchmal mit der Sorge zu tun, für das eigene Familien- und Privatleben dann nicht mehr genügend Zeit zu haben, manchmal aber auch mit der Befürchtung, sich in den Mühlen des mittleren Managements aufzureiben, ohne dabei viel bewirken zu können. Immer häufiger erlebe ich aber auch Menschen, die sehr geeignet wären für Führungsrollen und dennoch davor zurückschrecken, weil sie bei ihren Vorgesetzten jeden Tag sehen, wie wenig Zeit diese tatsächlich für Führungsarbeit, Strategiethemen und Teamentwicklung haben, weil sie permanent noch an operativen Themen mitwirken.“
S.Delgado: „Welche Gründe haben dazu geführt, dass „Junge Führungskolleg“ ins Leben zu rufen? Woran mangelt es aktuell noch?“
Dr. Philippe Merz: „Wir hatten bei der Thales-Akademie den Eindruck, dass es zwar klassische Führungskräfte-Fortbildungen und auch einige hippe Agilitätsweiterbildungen gibt, aber bislang keine Weiterbildung, die das gründliche Nachdenken über die eigene Führungsarbeit verbindet mit der Frage, wie sich der sozialökologische Wandel erfolgreich gestalten lässt. Da wir den Eindruck haben, dass beides immer wichtiger wird, haben wir das Junge Führungskolleg ins Leben gerufen. Es startet nun im April 2024 zum ersten Mal und wir freuen uns derzeit über die ersten Anmeldungen von sehr vielversprechenden Nachwuchskräften aus Unternehmen, Kommunen und Verbänden.“
S.Delgado: „Welche Rolle spielt Psychologie in der heutigen Führung? Kann man Verhalten lesen lernen?“
Dr. Philippe Merz: „Für beziehungsorientierte und partizipative Führungsarbeit spielt Psychologie tatsächlich eine zentrale Rolle. Das beginnt zunächst bei mir selbst, also dabei, dass ich meine eigene Führungsarbeit mit meinen Werten und Verhaltensmustern, aber auch mit meinen eigenen Vorbildern und bisherigen Prägungen wahrnehme und reflektiere. Von dort aus stellt sich die Frage, an welchen dieser Werte, Prinzipien und Führungsmuster ich festhalten möchte – und welche ich weiterentwickeln und erneuern möchte. Erst von diesem Fundament aus kann ich mich anderen Menschen auf gute Weise widmen und beispielsweise lernen, wie ich unterschiedliche Persönlichkeitstypen in meinem Team erkenne und individuell auf sie eingehen kann. Oder auch, wie ich anspruchsvolle Mitarbeitergespräche führe. Wir haben daher die Arbeit im Jungen Führungskolleg in vier Stufen unterteilt: Selbstführung, Menschenführung, Organisationsführung und Mitweltorientierung.“
„Ermutigung und Anleitung zur Selbstreflexion ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit im Jungen Führungskolleg.“
Dr. Philippe Merz, Thales-Akademie
S.Delgado: „Ist Leadership Training nicht auch ein individuelles Lernen jedes Einzelnen. Wie viel erfahren die jungen Führungskräfte über sich selbst bei dieser Veranstaltung?“
Dr. Philippe Merz: „Ja, die Ermutigung und Anleitung zur Selbstreflexion ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit im Jungen Führungskolleg. Nur, wer sich selbst versteht und bereit ist, sich weiterzuentwickeln, kann andere Menschen auf authentische und inspirierende Weise führen. Sowohl die Philosophie als auch die Psychologie sind daher tragende Säulen des gesamten Programms.“
S.Delgado: „Wie ist der Mix der Veranstaltung? Welche Werkzeuge geben Sie den Teilnehmern an die Hand? Gibt es praktische Übungen?“
Dr. Philippe Merz: „Wir setzen im Jungen Führungskolleg ganz bewusst auf eine möglichst stimmige Mischung aus inspirierenden Theorie-Impulsen, tiefer Selbstreflexion und das Erproben neuer Kommunikations- und Entscheidungsmethoden. Allerdings propagieren wir nicht die Lösung X oder Y als die angeblich beste oder einzige sinnvolle, sondern wir bieten den Teilnehmenden die Möglichkeit, unterschiedliche Ansätze kennenzulernen, sodass sie selbst auswählen können, welcher Ansatz je nach eigener Persönlichkeit, beruflicher Rolle und jeweiligem Kontext am stimmigsten und zielführendsten ist. Wir wollen den Teilnehmenden ja gerade nicht das Denken und Entscheiden abnehmen, sondern sie zu eigenständigerem Wahrnehmen, Urteilen und Handeln befähigen. Dieses Ideal hat Immanuel Kant mit dem Satz auf den Punkt gebracht: „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Dieser Mut und diese Fähigkeit scheinen uns heute wichtiger denn je.“
S.Delgado: „Zum Abschluß noch die Frage: Welches Wissen sollten die Teilnehmer aus dieser Veranstaltung mitnehmen?“
Dr. Philippe Merz: „Wenn das Junge Führungskolleg endet, weiß ich als Teilnehmender, welcher Führungstyp ich bin und noch werden möchte, welche Vorbilder mich geprägt haben, welche einflussreichen Führungsmodelle es bislang gibt und welche mich überzeugen. Außerdem kann ich zwischenmenschliche und ethische Konflikte im Berufsalltag erkennen und bewältigen, unterschiedliche Kommunikations- und Entscheidungsmethoden anwenden und anspruchsvolle Mitarbeitergespräche führen. Und schließlich habe ich mein Wissen zur sozialökologischen Transformation vertieft, habe ein starkes sektorübergreifendes Netzwerk aufgebaut und habe in einem Praxisprojekt erlebt, wie ich mit anderen Sektoren und Organisationen erfolgreich kooperieren und den sozialökologischen Wandel mitgestalten kann.“
Wir sagen herzlich Danke für das Interview und freuen uns auf den Start des ersten Jungen Führungkollegs im Frühjahr 2024!