Die Rolle des LEIZ im modernen Management - Ein Interview mit Dr. Jessica Geraldo Schwengber. Dr. Jessica Geraldo Schwengber ist seit Anfang des Jahres Geschäftsführerin des Leadership Excellence Institute Zeppelin (LEIZ) und Leiterin des Instituts der transkulturellen studentischen Forschungsgruppen.
„Ich glaube nicht, dass wir irgendeine/n andere/n "starke/n Mann/Frau" brauchen, der/die "kommt", um "unsere" Probleme zu lösen.“
Dr. Jessica Geraldo Schwengber
KSG: „Welche neuen Herausforderungen sehen Sie in der Führungsausbildung in den nächsten fünf Jahren und wie bereitet sich das LEIZ unter Ihrer Führung darauf vor?“
Dr. Jessica Geraldo Schwengber (JGS): „Wir leben in einer Gesellschaft, die von zunehmender Unsicherheit geprägt ist, z.B. durch aktuelle Kriege, eine unsichere Wirtschaftslage (z.B. Inflation, Rezession), die Demokratie wird zur Diskussion gestellt, usw. Da viele der aktuellen Herausförderungen mit polarisierten Weltanschauungen, unterschiedlichen politischen, religiösen und wirtschaftlichen Ansichten zusammenhängen, sind Toleranz, die Fähigkeit des aktiven Zuhörens, um zu versuchen, den "anderen" Standpunkt zu verstehen, und die Fähigkeit, Konsens zu finden, für Führungskräfte entscheidend und werden es auch in Zukunft sein.
Ich glaube nicht, dass wir irgendeine/n andere/n "starke/n Mann/Frau" brauchen, der/die "kommt", um "unsere" Probleme zu lösen. "Starke" Führungspersönlichkeiten, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart eine "starke" Sichtweise einbringen, neigen dazu, die Polarisierung zu fördern, was wir in diesem historischen Moment überhaupt nicht brauchen. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir keine Leader brauchen, die die Polarisierung fördern, sondern Leader, die in der Lage sind, verschiedene Ansichten zu vereinbaren und Entscheidungen auf der Grundlage eines Konsenses zu treffen. Daher glaube ich, dass jetzt und in naher Zukunft die erwähnten relationalen und transkulturellen Führungskompetenzen von entscheidender Bedeutung sein werden, da sie auf dem Konzept beruhen, dass es unterschiedliche Interessengruppen mit unterschiedlichen Ansichten, unterschiedlichen Sprachspielen und unterschiedlichen Rationalitäten gibt und dass es bei guter Führung darum geht, die Interessengruppen in Bezug auf die Verwirklichung eines gemeinsamen Projekts/einer gemeinsamen Initiative/etc. zu bringen.
Transkulturelle Führung legt den Schwerpunkt auf die Fähigkeit, Unterschiede anzuerkennen und gleichzeitig nach Gemeinsamkeiten zu suchen, d.h. nach dem, was die einzelnen Teile miteinander verbindet - eine wesentliche Voraussetzung für die Konsensbildung in einem Umfeld, das von polarisierten Ansichten geprägt ist. Konkret bereiten wir uns durch unsere Forschung, unsere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und unsere studentischen Initiativen, die auf relationaler und transkultureller Führung basieren, darauf vor. Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, mit der neuen Generation zu arbeiten, weil sie die nächste Führungsgeneration darstellt.
Beim LEIZ versuchen wir, über die Studierende der ZU hinauszugehen und Studierende aus dem Ausland in unsere Programme einzubeziehen, denn die aktuellen Herausforderungen betreffen nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt. Der Fokus auf den Führungsnachwuchs in Deutschland ist notwendig, aber nicht ausreichend. Eines meiner Ziele oder Missionen als LEIZ-Managerin Director ist es, unseren Fokus auf die Vorbereitung von exzellenten zukünftigen Führungskräften sowohl in Deutschland als auch im Ausland zu verstärken. Zu diesem Zweck arbeite ich zusammen mit dem LEIZ-Team daran, unsere internationale Zusammenarbeit zu verstärken, unsere aktuellen Projekte zu verbessern und innovative Projekte auszuarbeiten, die zur Erreichung dieser Mission beitragen können.“
KSG: Wie definieren Sie exzellente Führung in einer sich ständig verändernden globalen Wirtschaft?
JGS: „In einer sich ständig verändernden globalen Wirtschaft und Gesellschaft, in der die Interessen der verschiedenen Interessengruppen manchmal auch gegensätzlich sein können, ist Exzellenz Leadership für mich relational, d. h. die Fähigkeit der Führungskraft, die Interessen der verschiedenen Interessengruppen in Beziehung zu setzen und Wege zur Zusammenarbeit zu finden. In globalen Kontexten, in denen die Interessengruppen unterschiedliche Logiken haben können, kann dies auch transkulturelle Führung bedeuten, nämlich die Fähigkeit, sich auf das zu konzentrieren, was die Interessengruppen (Menschen, Organisationen, Nationen usw.) trotz ihrer unterschiedlichen Logiken und Interessen verbindet.
Relationale und transkulturelle Führung muss auch ethisch sein, wenn sie exzellent sein soll. Ich persönlich bin der Meinung, dass exzellente Führung ohne ethische Führung nicht möglich ist. Ich verstehe ethische Führung als verantwortungsvolle Führung und das damit verbundene Verantwortungsbewusstsein. Es geht darum, die Pflichten als Führungskraft zu erfüllen und gleichzeitig das Richtige und Gute zu tun.“
„Ein angemessener Einsatz von KI sowie ein Bewusstsein für die ethischen Implikationen von KI sind von entscheidender Bedeutung.“
KSG: Das LEIZ strebt nach eigenen Angaben danach, durch seine Arbeit einen Beitrag zur nachhaltigen und ethischen Führung in der globalisierten Wirtschaft zu leisten und die Bedingungen für erfolgreiche Unternehmensführung und Zusammenarbeit zu verbessern. Die Zeppelin Universität (ZU) wird deshalb erstmalig einen verpflichtenden Basiskurs zur KI für alle Studierenden einführen. Sehen Sie in der heutigen Zeit und aus Ihrer Forscherperspektive auch anderen Themen, die Pflichtkurse bedürfen würden?
JGS: „KI ist ein aktuelles Kernthema, das in Zukunft wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen wird. Daher ist ein Kurs über das Thema von Bedeutung. Ein angemessener Einsatz von KI sowie ein Bewusstsein für die ethischen Implikationen von KI sind von entscheidender Bedeutung. Aber ich persönlich bin der Meinung, dass KI-Kurse auch von anderen Kursen oder Methoden begleitet werden sollten, die das kritische Denken und die sozialen Fähigkeiten fördern.
Zukünftige Führungskräfte, die in der Lage sind, mit einer zunehmenden Komplexität umzugehen, können in der KI eine Hilfe finden, aber komplexe Themen in einer zunehmend unsicheren Gesellschaft erfordern mehr als kritisches Denken und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Neben thematischen Kursen können auch didaktische Methoden, die auf tiefgreifenden Diskussionen und Interaktion basieren, hilfreich sein.
Das LEIZ-Fallstudienprojekt kann zum Beispiel eine Methodik bieten, die in verschiedenen Klassen zu unterschiedlichen Themen angewandt werden kann, um kritisches Denken durch Diskussion und Interaktion zu fördern. Methoden für den Unterricht außerhalb des Klassenzimmers, wie z.B. das, was LEIZ in den Forschungsreisen der Studenten fördert, können auch den Kontakt mit anderen Realitäten, andere Wege, ein Problem zu sehen und zu lösen, die Interaktion mit Peers mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, die eigene Gewissheiten in Frage stellen können, und die Fähigkeit, ein Problem aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, fördern. Generell würde ich sagen, dass wir neben Kursen mit neuen Inhalten (z.B. KI) auch Innovationen bei den didaktischen Methoden der Universitäten brauchen.“
KSG: „Sie leiten außerdem das Institut der transkulturellen Forschung am LEIZ. Wie konkret wird durch Ihre Arbeit am Institut Wissen über die Voraussetzungen für ein Miteinander in einer multikulturellen Arbeitsumgebung generiert und welche Methoden werden dabei angewandt, um dieses Wissen zu vernetzen und zu verbreiten?“
JGS: „Bei LEIZ ist transkulturelle Führung ein wichtiges Forschungs- und Lehrthema. Die Transcultural Caravan (https://transcultural-caravan.org/) bei LEIZ wurde im Jahr 2015 gegründet. Seitdem haben wir den Transcultural Learning Cycle entwickelt, der aus drei Hauptprojekten besteht, um Wissen über transkulturelle Führung und transkulturelle Zusammenarbeit zu generieren und zu verbreiten.
Das erste Projekt ist der Transcultural Leadership Summit (TLS), eine jährliche Konferenz mit rund 200 TeilnehmerInnen, die VertreterInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammenbringt, um Fragen der transkulturellen Führung und Zusammenarbeit zu diskutieren.
Das zweite Hauptprojekt ist die Transcultural Student Research Groups (TSRG), ein studentisches Forschungsprojekt, dessen Ausgangspunkt die auf dem TLS diskutierten Themen sind. Bei letzterem handelt es sich um ein Projekt, das Studierende der ZU sowie internationale Studierende für ein ganzes Jahr zusammenbringt, um gemeinsam an einer Forschungsfrage zu arbeiten.
Ursprünglich war das Projekt bilateral. Im Laufe der Jahre haben wir bei LEIZ das Transcultural Caravan Network entwickelt, ein Netzwerk von internationalen Universitäten aus Europa, Südamerika, Afrika und Asien. Jedes Jahr werden Studierende der ZU und der Partneruniversitäten ausgewählt (etwa 15/20 Studierende). Nach einem Kick-off ist die erste Phase des Projekts eine Vorbereitungsphase. Wir organisieren Workshops zum Beispiel über Forschungsdesign und transkulturelle Zusammenarbeit. Auf die Vorbereitungsphase folgt eine Forschungsreise. Bislang wurden Forschungsreisen nach Hongkong, Uganda, Brasilien, Polen, Vietnam, Deutschland und Südafrika organisiert. Mit der Forschungsreise haben die Studierenden die Möglichkeit, Feldforschungsdaten zu sammeln, die internationalen Kollegen vor Ort zu treffen und eine wirklich transkulturelle Erfahrung zu machen. Nach der Reise arbeiten die Studierenden weiter an der Fertigstellung ihrer Projekte. Der letzte Schritt des Transcultural Learning Cycle ist eine Veröffentlichung in der Transcultural Management Series von Metropolis.
Inzwischen haben wir 11 Bände veröffentlicht. Die Bücher enthalten in der Regel Kapitel von ExpertInnen und WissenschaftlerInnen (z.B. ReferentInnen des TLS, WissenschaftlerInnen des LEIZ) sowie die Forschungsergebnisse der Studierenden.
Der Transcultural Learning Cycle ist daher eine Methode zur Vorbereitung einer zukünftigen Generation von Führungskräften auf internationaler Ebene, die in der Lage sind, mit den Herausforderungen und Chancen des Multikulturalismus umzugehen und verschiedene Institutionen (z. B. durch die Verbindung verschiedener Universitäten und Partner) und Studierende aus verschiedenen Teilen der Welt zu verbinden.
Obwohl dies unser Hauptprojekt ist, haben wir bei der Transcultural Caravan auch andere Forschungsprojekte, die zu verschiedenen Veröffentlichungen und Konferenzbeiträgen geführt haben. Internationale Netzwerke und Austausch, Projekte mit Studierenden, Präsentationen auf Konferenzen und Publikationen sind somit die wichtigsten Methoden, die wir zur Generierung und Verbreitung von Wissen über Voraussetzungen für ein Miteinander in einer multikulturellen Arbeitsumgebung eingesetzt haben.“
„Ich würde sagen, dass es viele Kompetenzen gibt, die eine transkulturell kompetente Person besitzen kann.“
KSG: „In Zeiten der Globalisierung überschreitet die wirtschaftliche und soziale Wertschöpfung buchstäblich Grenzen. Welche Eigenschaften zeichnen eine transkulturell kompetente Person aus? Gibt es Eigenschaften, die allgemeingültig sind?“
JGS: „Transkulturelle Kompetenz, wie wir sie bei LEIZ verstehen, ist keine traditionelle länderspezifische Kompetenz (z.B. wie man mit Brasilianer, Vietnamesen, Deutschen, Chinesen, etc. umgeht), sondern eine allgemeine Kompetenz, mit kultureller Komplexität umzugehen.
Ich würde sagen, dass es viele Kompetenzen gibt, die eine transkulturell kompetente Person besitzen kann. Dazu gehören z. B. kulturelle Sensibilität, Toleranz, die Fähigkeit, sich über die Unterschiede hinaus auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, aktives Zuhören, die Fähigkeit, nicht auf den ersten Blick zu urteilen, Kommunikationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, internationale Erfahrung, usw.. Dies sind die Kompetenzen, die wir in den erwähnten Projekten der Transcultural Caravan bei unseren Studierende zu entwickeln versuchen.
KSG: Die „Transkulturelle Karawane“, so der Titel einer Forschungsgruppe, die Sie betreuen, untersucht die besonderen Führungsanforderungen des 21. Jahrhunderts. Kommen Ihre Ergebnisse auch zur Anwendung, indem Führungskräfte auf diese Anforderungen vorbereitet werden? Welche Module gibt es dafür?
JGS: „Neben den bereits erwähnten und beschriebenen Projekten der transkulturellen Karawane gibt es in LEIZ auch andere Projekte zur Förderung der Anwendung von Wissen, in denen Führungskräfte auf die besonderen Führungsanforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereitet werden.
Zum Beispiel hatte das LEIZ ein dreijähriges Projekt mit einem multinationalen Unternehmen mit Hauptsitz in der Bodenseeregion. Ziel des Projektes war es, LEIZ-Wissen zu Themen wie relationale Ökonomie, Unternehmensnetzwerke und transkulturelle Führung auf die Führungskräfte des Unternehmens zu übertragen.
Ein weiteres Beispiel ist der Kurs "Governance of Value Network", der ich in den letzten vier Jahren als Co-Dozentin durchgeführt habe. Eine der Prüfungsaufgaben besteht aus einer Fallstudie mit einem lokalen Unternehmen. VertreterInnen des Unternehmens kommen in die Vorlesung, um eine Herausforderung zu präsentieren, mit der sie konfrontiert sind, und die Aufgabe der Studierende besteht darin, unter Betreuung durch den Dozenten praktische Lösungen auf der Grundlage der in der Vorlesung erörterten Theorien vorzuschlagen.
Auf diese Weise wollen wir sowohl die theoretischen als auch die praktischen Fähigkeiten unserer Studierenden fördern und gleichzeitig Wissen vermitteln, das bei unseren Geschäftspartnern in der Region praktisch angewendet werden kann. Ein Gewinn für die Geschäftspartner, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Theorien neue praktische Ideen erhalten, für die Studierende, die über die Theorie hinaus auch praktische Fähigkeiten entwickeln, und für LEIZ, das seine Geschäftsbeziehungen stärkt. Weitere empirische Studien zur Anwendung der theoretischen Erkenntnisse in der Praxis sind für die nächste LEIZ-Zukunft geplant.“
Wir sagen herzlich Danke für das Interview.
Über das LEIZ:
Das LEIZ der Zeppelin Universität in Friedrichshafen widmet sich der Forschung, Lehre und dem Praxistransfer in verschiedenen Bereichen, die für das Verständnis und die Verbesserung der Führungs- und Managementpraktiken von zentraler Bedeutung sind. Die Themenbereiche des Instituts umfassen Governance von Wertschöpfungsketten, Unternehmens- und Führungsethik sowie Unternehmenskultur, Erfolgsbedingungen transkultureller Zusammenarbeit, Managementinnovation in Ost- und Südasien, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedingungen sowie Folgen disruptiver Technologien. Das LEIZ wurde 2012 von der Karl Schlecht Stiftung initiiert und ist einer seiner Förderer neben anderen Unterstützern.