Interview mit Sibylle Kufus, Leitung Education bei C/O Berlin. C/O Berlin ist ein Ausstellungshaus für Fotografie und visuelle Medien, gegründet im Jahr 2000 vom Fotografen Stephan Erfurt, dem Architekten Ingo Pott und dem Designer Mark Naroska. Seit 2006 ergänzt der Bereich „Education“ das Angebot der gemeinnützigen Einrichtung, seit 2019 fördert die KSG die "Junior" und "Teens" Education-Programme.


Visuelle Bildung und Kunstvermittlung richten sich dabei unter anderen an die Zielgruppen „Junior“ (8-13 Jahre) und „Teens“ (14-17 Jahre), neben anderen Kurse für Erwachsene. Die Karl Schlecht Stiftung fördert die Kreativ-Workshops für Schülerinnen und Schüler. Seit 2023 geht C/O Berlin mit den Workshops auch direkt in Schulen. In den Veranstaltungen liegt ein Schwerpunkt in der kreativen Entfaltung und Selbsterfahrung der Teilnehmer. Künstlerische Projekte, wie Trickfilmseminare kommen sehr gut in der Zielgruppe an und tragen zur Persönlichkeitsbildung der jungen Menschen bei. Wir sprachen mit Sybille Kufus über diesen Schritt, die Inhalte und die Ziele.
KSG: „Könnten Sie uns einen Einblick geben, wie die Schulworkshops von C/O Berlin konkret aussehen und was das Besondere an ihnen ist?“
Sibylle Kufus (SK): „Von der Wahl und Ausarbeitung des Inhalts über die ästhetische Konzeption, die Herstellung der Protagonisten, Requisiten und Filmsets, der eigentlichen Animation bis hin zur Postproduktion wird in den Schulworkshops der gesamte Produktionsvorgang der Silhouettenanimation im Kleinen repliziert. Die Schüler:innen denken sich in kleinen Gruppen oder auch allein Geschichten aus, zeichnen Storyboards, schneiden Figurenteile aus schwarzem Karton und setzen sie beweglich zusammen, sie gestalten Gegenstände und Hintergründe (ebenfalls aus schwarzem Karton oder aus farbigem Transparentpapier) und animieren ihre Filme auf Leuchtplatten, manchmal über mehrere Ebenen. Danach fügen sie Tonspuren hinzu, entweder mit selbst aufgenommenen Voice-overs und Sound Effects oder mit Filmmusik, die sie aus Sammlungen mit Creative-Commons-Lizenz auswählen. Die Schüler:innen können ihre Werke auf eigenen IServ-Accounts speichern und so über mehrere Wochen verteilt fertigstellen. Insgesamt kann bislang an acht Trickfilmstationen gleichzeitig gearbeitet werden: Speziell für die Silhouettenanimation gibt es eine solche Ausstattung sonst nicht, sie ist in dieser Form einzigartig und erlaubt es den Schüler:innen, sich in einer für sie ungewöhnlichen Kunstform auszudrücken, was ihre Arbeiten von dem Content absetzt, den sie in anderen Zusammenhängen produzieren.“
KSG: „Wie viel Zeit wird für einen Schulworkshop benötigt und wie werden die Schüler:innen während des Prozesses unterstützt?“
SK: „Ein Workshop benötigt in der Regel mindestens sechs Unterrichtsstunden; die längsten Workshops liefen dreimal so lange. Von Projekttagen und -wochen einmal abgesehen sind Workshops in die Einzel- oder Doppelstunden unterteilt, die der Stundenplan der jeweiligen Klassenstufe für den Kunstunterricht vorsieht. Daher müssen die Trickfilmstationen immer wieder neu auf- und abgebaut werden, was immer einige Minuten in Anspruch nimmt.“
KSG: „Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften und welche Rolle spielen sie im Rahmen der Workshops?“
SK: „Die Workshops wurden gemeinsam mit den Lehrerinnen geplant. Es war dabei wichtig, dass sich die Aktivität sinnvoll in die jeweiligen Lehrpläne der Klassen einfügt. Außerdem mussten für die Organisation von Projekttagen Absprachen mit anderen Lehrer:innen und der Schulleitung getroffen werden. Während des Pilotprojektes haben die Lehrerinnen meist aktiv an den Workshops teilgenommen, um selbst mehr zu lernen, bevor sie dazu übergehen, Animationstechniken in den eigenen Unterricht einzubauen. Ihre Anwesenheit war vor allem auch deshalb sehr hilfreich, weil sie ihre Schüler:innen gut kennen und deshalb auf persönliche Bedürfnisse oder Interessen eingehen können. In der Auswertung, die nach jedem Workshop stattfand, kamen immer auch die Möglichkeiten und Herausforderungen der unbegleiteten Fortführung zur Sprache.“
KSG: „Wie kommen die Workshops bisher bei Lehrern und Schülern an?“
SK: „Unser Eindruck ist positiv, aber wir lassen hier lieber die Lehrerinnen selbst zu Wort kommen: „Reflexion unserer Trickfilmworkshops mit Jan und Gary: Unsere Trickfilmlehrer hatten in den Jahrgängen 5, 8, 9 und 12 äußerst positive und erfolgreiche Trickfilmworkshops durchgeführt. Die Schülerinnen und Schüler waren begeistert von den kreativen Möglichkeiten, die sich ihnen boten, und konnten ihre Fähigkeiten im Bereich der Animation und des Storytellings erheblich verbessern. In den Workshops für die 5. Klasse schafften es Jan und Gary, die jungen Schülerinnen und Schüler spielerisch an das Thema heranzuführen. Durch ihre einfühlsame Art konnten sie das Interesse der Kinder wecken und sie dazu motivieren, ihre eigenen Ideen in animierten Kurzfilmen umzusetzen. Die Ergebnisse waren beeindruckend und zeigten das enorme Potenzial der jungen Talente. Auch in den Jahrgängen 8, 9 und 12 gelang es den Trickfilmlehrern, die Schülerinnen und Schüler zu begeistern. Sie vermittelten ihnen nicht nur technische Fertigkeiten im Umgang mit Animationssoftware, sondern förderten auch ihre kreative Entwicklung.
Insgesamt haben die Trickfilmworkshops unter der Leitung der Lehrer einen nachhaltigen Eindruck bei den Schülerinnen und Schülern hinterlassen. Sie haben nicht nur wertvolle Erfahrungen gesammelt, sondern auch wichtige künstlerische Kompetenzen erworben, die sie in ihre weitere schulische Laufbahn einbringen können.“
KSG: „Wie wirken sich diese künstlerischen, kulturellen Angebote auf das Selbstwertgefühl der Schüler aus?“
SK: „Die trickfilmerische Herstellung bewegter Bilder eröffnet für die Schüler:innen einen überraschenden expressiven Raum, in dem sie sich in einer neuen künstlerischen und medialen Selbstwirksamkeit erfahren. Gekoppelt mit positiven Rückmeldungen auf ihre Arbeiten (u. a. von Mitschüler:innen, Kunst- und Klassenlehrer:innen, Eltern und privaten sozialen Medien) wirkt sich das spürbar auf ihr Selbstwertgefühl aus. Wir beobachten das selbst und bekommen entsprechende Rückmeldungen von den Lehrerinnen, die ihre Schüler:innen über mehrere Jahre gut kennengelernt haben. Es fällt dabei auf, dass häufig besonders diejenigen Schüler:innen, denen die Schule sonst nicht so leichtfällt, an der Trickfilmstation förmlich „aufblühen“.
Im Unterrichtsalltag tritt Leistungsfeedback hauptsächlich die Form von Test, Klausuren und benoteten Aufgaben auf, in größeren Abständen und bei schwächeren Schüler:innen zudem oft negativ behaftet. Da wird die Gelegenheit dankbar angenommen, sich selbst als fähig (und im Trickfilmschaffen sogar als buchstäblich „fantastisch!“) zu erfahren.“
KSG: „Sind durch die Workshops bereits Talente unter den Schülern sichtbar in Erscheinung getreten?“
SK: „Es besteht eine Verantwortung, künstlerisches Interesse und Potenzial zu erkennen und Räume zu schaffen, in denen sie sich entfalten können. Insofern ist die Frage nach der Gegenwart von Talenten von Bedeutung. Sie lässt sich leicht mit Ja beantworten: Eigentlich gibt es in fast allen Gruppen einzelne Schüler:innen, die ein besonderes handwerkliches, ästhetisches oder narratives Gespür und Geschick zutage legen. Diesen sollte die Gelegenheit gegeben werden, sich über den Workshop bzw. die Arbeitseinheit im Kunstunterricht hinaus intensiver mit dem Animationsfilm zu beschäftigen. Für das kommende Schuljahr werden der Schule zusätzlich zu den acht Trickfilmstationen für die Kunsträume drei mobile Trickfilmstationen mit Smartphonehalterung und Transporttaschen zur Verfügung gestellt, die dann von interessierten Schüler:innen leihweise mit nach Hause genommen werden können.“
KSG: „Welche Materialien und Ressourcen werden für die Durchführung der Schulworkshops benötigt, und wie werden diese bereitgestellt?“
SK: „In der Vergangenheit war die technische Hürde für die Durchführung von Trickfilmmaßnahmen sehr hoch. Es mussten spezielle Geräte mitgebracht werden, die es an den Schulen nicht gab, sodass die Trickfilmarbeit in der Regel auf die Dauer der unmittelbaren Maßnahme beschränkt war. Heute gibt es an den meisten Schulen Klassensätze an Tablet-Computern, die im Unterricht eingesetzt werden können. An der Anna-Seghers-Schule sind das iPads. Wir haben dafür Tischstative entwickelt, die das für das Stop-Motion-Verfahren unerlässliche Feststellen der (in die iPads eingebauten) Kameras gewährleisten. Die Stop-Motion-App, die wir bei den Schulworkshops verwenden, kann kostenfrei auf allen gängigen Smartphone- und Computerbetriebssystemen benutzt werden, sodass interessierte Schüler:innen zu Hause gleich weiter animieren können. Für die Silhouettenanimation wird zudem eine Leuchtplatte gebraucht. An der Anna-Seghers-Schule verbleiben auch über das Pilotprojekt hinaus insgesamt acht solcher Trickfilmstationen für die weitere Verwendung.“
KSG: „Wie wird sichergestellt, dass die Schulworkshops einen nachhaltigen Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler bieten und nicht nur eine einmalige Erfahrung sind?“
SK: „Ein besonderes Kennzeichen von MOVING SHADOWS MACHT SCHULE ist die Integration in den laufenden Schulunterricht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Workshops an einen wöchentlichen Rhythmus aus Einzel- und Doppelstunden anzupassen (manchmal ergänzt durch Projekttage, an denen die Schüler:innen von anderen Fächern freigestellt sind). Vor allem aber entsteht so die Möglichkeit, Animationsprojekte dauerhaft im Programm des Fachbereichs Kunst zu verankern. Die drei beteiligten Lehrer:innen werden die Arbeit im Rahmen ihres eigenen Unterrichts fortführen. Sie haben begonnen, eigenständig weitere Kolleg:innen anzuleiten. Im zweiten Projektjahr konnte bereits beobachtet werden, wie Schüler:innen in Workshops auf ihre Animationserfahrung aus dem Vorjahr aufbauen konnten. Im Zuge der Verstetigung soll die Silhouettenanimation zu einer jährlichen Aktivität in allen Klassenstufen werden, sodass Schüler:innen der sechsten Klasse potenziell ein schöpferischer Entwicklungszeitraum von insgesamt acht Jahren offensteht, indem sie die Technik meistern und für die Umsetzung ihrer eigenen Visionen anwenden können.“
Wir sagen vielen Dank an Sibylle Kufus für das Interview. Die Anna-Seghers-Schule setzt die Trickfilm-Workshops inzwischen eigenständig im Unterricht um und C/O Berlin plant, diese Workshopreihe auch an andere Schulen zu bringen.
Neben den Schulworkshops bietet C/O Berlin auch freie Workshops für Jugendliche: Informationen über die aktuellen Workshops für "Junior" und "Teens" finden sich auf der Webseite von C/O Berlin. Darüber hinaus sind auch die aktuellen Ausstellungen immer einen Besuch wert!