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03.06.2025

Seit einem Jahrzehnt bildet das Reutlinger Energiezentrum für Dezentrale Energiesysteme und Energieeffizienz (REZ) Fachkräfte aus, die eine Schlüsselrolle in der Energiewende übernehmen.

Die Karl Schlecht Stiftung hat früh erkannt, dass Innovation und interdisziplinäre Forschung in diesem Bereich entscheidend sind. Mit ihrer Förderung hat sie dazu beigetragen, das REZ als führenden Lehr- und Forschungsverbund zu etablieren und hat in einen Zukunftsmarkt investiert, in dem ethische Führung und nachhaltige Transformation eine immer größere Rolle spielen.

Der Master-Studiengang „Dezentrale Energiesysteme und Energieeffizienz“ (DEE) vermittelt nicht nur technisches Know-how, sondern auch wirtschaftliche und unternehmerische Kompetenzen, um nachhaltige Energiesysteme zu entwickeln und umzusetzen. Die ursprünglich als Stiftungsprofessur initiierte Position hat sich mittlerweile etabliert und ist nun fester Bestandteil des regulären Professoriums am REZ.

Anläßlich des zehnjährigen Bestehen werfen wir gemeinsam mit Frau Professor Löbbe einen Blick zurück auf die Entwicklung des REZ, die Erfolge der vergangenen Jahre und die Herausforderungen, die noch vor uns liegen.

© Picture: Johannes Meger Photograph

KSG: „Dass die Stiftungsprofessur „Energiewirtschaft und Energiemärkte", gefördert von der Karl Schlecht Stiftung, nun nach 10 Jahren zu einer regulären Professur des Energiezentrums gehört, ist sicherlich ein Erfolg. Welche weiteren Erfolge aus diesem Jahrzehnt sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?“

Prof. Dr. Sabine Löbbe (SL): „Zunächst: dass Herr Karl Schlecht als Gründer und Philipp Bocks als Vorstand der KSG regelmäßig mit uns, unseren Studierenden, Doktorandinnen und Doktoranden, und unserem Beirat den Austausch gesucht haben, war für uns und die Entwicklung des REZ eine Ehre, Ansporn und eine Quelle der Inspiration. Dafür ganz herzlichen Dank! Der wichtigste Erfolg war sicher der Aufbau und die Verstetigung unseres Studiengangs. Dazu beigetragen haben aber auch die Anschlussfinanzierung der Hochschule selbst, sowie 40 Forschungsprojekte aller Mitglieder im REZ. Das ging los mit dem Aufbau der Infrastruktur für unser Virtuelles Kraftwerk Neckar-Alb als Basis. Im Bereich Energiewirtschaft haben wir dann Forschung zu Geschäftsmodellen für dezentrale Energielösungen gemeinsam mit zahlreichen Energieversorgern aufgebaut. Das hat unsere Vernetzung in die Wirtschaft stark beflügelt, wovon auch unsere Studierenden natürlich profitieren. Die Frage, wie Energieeffizienz und Klimaneutralität in Industrie und Verwaltung realisiert werden können, ist ein wichtiges Forschungs-Standbein. Hier gehört sicher unser Projekt Klima-RT-LAB zur Transformation des Konzerns der Stadt Reutlingen hin zur Klimaneutralität zu den großen Highlights des REZ. Und schließlich wurde unsere Jubiläumsveranstaltung am 6. Mai 2025 zu unserem Glanzpunkt. Nach 10 Jahren „überreichte“ Ministerialdirektor Dr. Reiter vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg unsere Erfolge in einem Film an Frau Dr. Schlecht!

KSG: „Wie hat sich das REZ seit seiner Gründung verändert, welche Entwicklungen gab es?“

SL: „Zum Start habe ich natürlich zunächst meine Vorlesungen aufgebaut und den Lehrbetrieb in Reutlingen kennengelernt – auch z.B. als Prüfungsbeauftragte. Der Studiengangsleiter, Prof. Dr.-Ing. Frank Truckenmüller, sowie die Kollegen Prof. Dr.-Ing. Gerhard Gruhler und Prof. Dr.-Ing. Bernd Thomas durfte ich beim Aufbau des REZ begleiten. Schnell waren wir auf die Größe von über 10 Professorinnen und Professoren angewachsen und konnten eine weitere Kollegin, Fr. Prof. Dr. Debora Coll-Mayor berufen. Wichtig war mir, den Beirat des REZ, wie in der Fördermittelvereinbarung mit der KSG vereinbart, zügig einzurichten. Diese Begleitung der 15 Mitglieder aus Energiewirtschaft, Anlagenindustrie, Beratung und Wissenschaft ist ein wichtiges Gremium, das uns kontinuierlich berät, uns den Kompass zur Zukunfts-Ausrichtung bietet und uns tatkräftig unterstützt.“

„Daseinsvorsorge, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit der Energieversorgung und Klimaschutz machen die Energiewirtschaft seit Jahr und Tag zu einer Branche, in der ethische Verantwortung besonders im Fokus steht.“

Prof. Dr. Sabine Löbbe, REZ

KSG: „Die Karl Schlecht Stiftung hat früh erkannt, wie wichtig die Förderung im Energiesektor ist, auch in Bezug zum Thema Führung. Welche neuen Fragestellungen zur Ethik in Führung und Wirtschaft sind heute aus Ihrer Sicht besonders relevant?“

SL: „Zunächst: Daseinsvorsorge, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit der Energieversorgung und Klimaschutz machen die Energiewirtschaft seit Jahr und Tag zu einer Branche, in der ethische Verantwortung besonders im Fokus steht. Energiewirtschaftler und -techniker optimieren nicht nur den Unternehmenserfolg, sondern übernehmen auch eine Verantwortung für Umwelt und Ressourcen. In dem Zusammenhang habe ich mit dem Kollegen Andreas Kuckertz, Leiter des Fachgebiets Unternehmensgründungen und Unternehmertum an der Universität Hohenheim eine kooperative Promotion mit dem Titel „Corporate Entrepreneurship in the Public Sector: Exploring the Peculiarities of Public Enterprises“ initiiert. Der Doktorand und wissenschaftliche Mitarbeiter am REZ, Timo Tremml, hat herausgearbeitet, welch wichtigen Einfluss Führung nicht nur auf den Erfolg von Unternehmen, sondern auch auf den der Aufsichtsräte der Unternehmen hat. Mein Motto: Gute Führung erzielt Wirkung, führt also die Organisation in die bestmögliche Zukunft - und entwickelt diese durch die bestmögliche Entwicklung der zu führenden Menschen in der Organisation. In Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit finde ich diese Maxime umso wichtiger, da dies gleichzeitig Organisationen resilienter macht: Mut und Tatkraft zur Gestaltung unserer Zukunft braucht zielorientierte, gut integrierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem klaren Wertegerüst. Es ist Aufgabe der jeweiligen Organisation, daran gemeinsam zu arbeiten.“

KSG: „Wie hat sich das Interesse an dezentralen Energiesystemen in den letzten Jahren verändert? Gibt es einen spürbaren Wandel in der Wahrnehmung und Nachfrage?“  

SL: „In Industrie und Energiewirtschaft ist die Nachfrage nach unseren Absolventinnen und Absolventen sogar noch klar gewachsen. Das REZ bildet die richtigen Menschen für die Zukunft aus: für die technische, wirtschaftliche, sozial und politisch akzeptierte Transformation unseres Energiesystems. Derzeit ist unsere wichtigste Aufgabe, angehende Studierende für diesen auch zukünftig sehr relevanten Studiengang zu begeistern. Wie bei anderen MINT-Studiengängen auch, sehen wir hier das größte Handlungsfeld – für uns bei DEE, an der Hochschule, in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland.“

KSG: „Dem REZ ist es in den vergangenen Jahren erfolgreich gelungen, Drittmittel über 11 Mio.€ für Forschungs- und Projektarbeiten im Bereich Klima- und Energiewende zu akquirieren. Worauf führen Sie das zurück? Wer sind Ihre Förderer und welche Ziele werden damit verfolgt?“

SL: „Ganz klar erst mal: auf die Anschubfinanzierung der KSG, ergänzt um Mittel der Hochschule und der Bruno Kümmerle Stiftung! Dieses Engagement hat es uns ermöglicht, mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Auftragsforschung zu akquirieren und öffentliche Forschungsmittel zu beantragen. Tatsächlich haben wir bisher mit unseren Anträgen viele Landesförderungen – aus dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft BW und aus dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst BW gewonnen. Aber auch Mittel des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) oder des BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) haben wir eingeworben.“

KSG: „Der Studiengang DEE verbindet Technik, Wirtschaft und Gesellschaft. Warum ist dieser interdisziplinäre Ansatz besonders wichtig für die Energiewende?“  

SL: „Energiewirtschaft ist per se ein Zusammenspiel vieler Disziplinen. Sie müssen Energietechnik, Energiewirtschaft, Regulatorik/Recht und Politik verstehen und in IT-Systemen abbilden können, um ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Sie müssen auf dieser Basis Barwertrechnungen durchführen und Geschäftsmodelle entwickeln können. Sie müssen ökonomische, ökologische und soziale Aspekte verbinden, um kundenzentrierte Lösungen zu erdenken. Und sie müssen auch zwischendurch „die Hand am Arm“ haben, um Ideen in die Praxis umzusetzen.“

KSG: „Gibt es Innovationen oder Forschungsprojekte aus dem REZ, die bereits konkrete Anwendungen in der Praxis gefunden haben?“  

SL: „Klar! Unsere gemeinsamen Forschungsergebnisse mit der Industrie finden laufend Anwendung. Optimierte Betriebsstrategien für Erzeugungsanlagen bei der AVAT Automation GmbH oder vielen Stadtwerken, kundenorientierte Energiedienstleistungen, umgesetzte Energiemanagement-Systeme in KMU in der Region, oder neue Strukturen im Klimaschutzmanagement in Kommunen sind Beispiele.“

KSG: „Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für die Transformation der Energiewirtschaft, und wie bereitet das REZ seine Studierenden darauf vor?“

SL: „Die technischen Lösungen müssen v.a. durch IT- und KI-Anwendungen effektiver und effizienter, anwendungsfreundlicher, und damit für die Kunden attraktiver werden. Dazu sollte auch ein drastischer Abbau der Regelungsdichte in der Energiewirtschaft beitragen. Ein besserer Zugang v.a. der Kommunen zu Finanzierungsmöglichkeiten für die Energiewende und die Klimaneutralität der Liegenschaften sind eine weitere riesige Herausforderung. Gemischtwirtschaftliche Finanzierungsinstrumente müssen stärker ermöglicht und genutzt werden. Und schließlich müssen wir die Akzeptanz der Transformation stärken – durch einfache, nachvollziehbare Regulierung, in der Folge durch Produkte und Dienstleistungen, die das Leben erleichtern, durch Unterstützung sozial schwacher Gruppen, z.B. durch die Auszahlung des Klimageldes aus dem Klima- und Transformationsfonds des Bundes.“

KSG: „In welchen Bereichen gibt es noch Forschungsbedarf? Welche zukünftigen Projekte sind in Planung?“  

SL: „Für das REZ haben wir in den letzten Jahren die Wasserstoffforschung konsequent und erfolgreich ausgebaut. Für die Zukunft steht die o.g. integrierte Nutzung von Digitalisierung und KI ganz oben. Kein Energiesystem – ob zentral oder dezentral, ob in einer deutschen Strompreiszone oder in mehreren Zonen - lässt sich sinnvoll ohne Algorithmen und KI in die Zukunft führen. Hierfür praktische Lösungen mit dem Ziel der Entwicklung von Geschäftsmodellen zu beforschen, ist ein weites, lohnenswertes Feld.“

KSG: „Welche Rolle spielen die Absolvent:innen des REZ heute in der Energiewirtschaft? Gibt es Beispiele für besonders spannende Karrierewege?“

SL: „Unsere Absolventinnen und Absolventen finden Sie in Energieversorgungsunternehmen, Übertragungsnetzbetreibern, Stadtwerken, Windenergie- oder Solarenergie-Projektierern, Ingenieurbüros, Unternehmensberatungen, Ministerien, und so weiter - schwer, da jemanden herauszugreifen. Trotzdem: wir haben ein paar Alumni interviewt: Hannes Sauter ist mittlerweile Partner Counsel bei BBH Consulting in München, Mona Keller führt die Abteilung Netzentwicklung und Asset-Management bei der FairNetz GmbH in Reutlingen.“

KSG: „Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: Wo sehen Sie das REZ in weiteren zehn Jahren?“

SL: „Das REZ hat sich gerade aus der Start-up-Phase heraus zu einem etablierten Player entwickelt. In der Folge sollten wir die Wachstumspotentiale, die das Thema fraglos bietet, in ein immer attraktiv bleibendes Lehrangebot und starke Forschung umsetzen. Das ist kein Selbstläufer, aber eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe. Unsere Stärken sind Lehre und Forschung ganz nah an der Anwendung, die Interdisziplinarität, die Kooperation mit der Wirtschaft und ein schöpferischer Pragmatismus!

Wir sagen herzlich Danke für das Interview, das Dr. Sofia Delgado führte und wünschen dem REZ weiterhin viel Erfolg!